Ortsteil Müllen
Müllen ist das kleinste der Neurieder Ortsteile. Das Dörfchen an der Schutter wurde vermutlich als Siedlung von Altenheim, ausgehend im 8. Jahrhundert, gegründet. Nachdem Müllen im Besitz verschiedenster Herrschaften war, wurde es 1805 endgültig badisch. Die Ableitung des Namens bezieht man auf die Wassermühlen entlang der Schutter, in seinem Wappen führt Müllen ein vierspeichiges Mühlrad.
Zum erstenmal urkundlich erwähnt ist das Dorf als "Mulnheim" in einer Urkunde von Papst Innozenz III. als Besitz des Klosters St. Georgen im Schwarzwald. Als sogenanntes "-heim-Dorf" ist die Gründung Müllens, aber in die frühe Kolonisation der Franken im Oberrheingebiet im 6. bis 8. Jahrhundert anzusiedeln. Seine Entstehung dürfte Müllen zwei Umständen zu verdanken haben: zum einen, an der Schutter gelegen, als idealer Platz für Mühlen in direkter Nachbarschaft zu Altenheim und zum anderen der Tatsache, dass sich seine Lage auf einer Niederterrasse wesentlich besser zum Getreideanbau eignet als die tiefergelegenen, feuchten Gebiete um Altenheim. Dass sich in Müllen Wassermühlen befanden, ist neben der urkundlichen Dokumentation auch aus dem Gelände ersichtlich. Zudem sind die heute noch in der Nachbarschaft befindlichen Mühlen an der Schutter in Dundenheim, Rohrburg und Kittersburg lebendige Zeugen. Mit der Zugehörigkeit zu Altenheim darf man Müllen ebenfalls im Bereich des fränkischen Königsguts ansiedeln, das sich die Karolinger vom Elsaß her über den Rhein aneigneten.
Ein großer Teil dieses Königsgutes lag im Gebiet der Ortenau und wurde im 13. Jahrhundert als Landvogtei Ortenau verwaltungsmäßig erfasst und gestrafft. Im Mittelalter wurde der königliche Besitz dem Adel als Lehen verkauft, verschenkt oder verpfändet. Für Müllen sieht dieser Weg im Mittelalter und der frühen Neuzeit einen häufigen Wechsel in der Ortsherrschaft vor, der uns nicht immer bis in das Einzelne bekannt ist. Als erster Ortsherr, am 14. April 1139, ist das Kloster St. Georgen im Schwarzwald durch die oben bereits erwähnte Urkunde von Innozenz III. bekannt, in dessen Besitz es sich auch noch 1343 befindet. Vom 14. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts wird Müllen zum Spielball der damals üblichen Verpfändungenund Verkäufe, verbunden mit dem Schicksal der Menschen im häufigen Wechsel der Ortsherren. 1379 erscheint der Straßburger Bürger von Winsberg als Besitzer der Mühlen und des Dorfes "Müllenheim", 1472 unterliegt Müllen der Verwaltung des "Steynes gein Ortenberg", 1480 wird der Pfalzgraf bei Rhein als Dorfherr genannt, 1505 geht der Ort durch Verkauf an Wolfgang von Fürstenberg, danach wieder an Straßburger Bürger und fällt schließlich wieder an die Fürstenberger zurück, bevor es schließlich über die Österreicher wieder zur Landvogtei Ortenau kommt.
Neben den Schauenburgern bei Oberkirch hatte auch eine Freifrau von Falkenstein durch eine Pfandschaft zwischenzeitlich Besitz von Müllen ergriffen. Von 1765 bis 1783 war Müllen durch Verpfändung badischer Besitz und nach dem Ende des Hl. Römischen Reiches dt. Nation wurde das Dorf ab 1805 dann endgültig badisch. Der Ortsname "Müllen" ist erst im 16. Jahrhundert in der heutigen Form entstanden. Er ist uns 1586 als "Muella", 1613 als "Millen" und "Mülla" sowie 1621 als "Milla" überliefert. Zuvor hieß dieser Ort, wie alte Unterlage und Urkunden belegen, 1139 "Mulnheim", 1368 "Millenheim, Mülnheim", 1480 "Muellenheim", 1505 "Muelheim" und 1550 "Mulheim".
Besonders bemerkenswert ist eine im 18. Jahrhundert Jahrzehnte dauernde Fehde zwischen Müllen und Dundenheim um das Weiderecht auf der sogenannten Herren- und Simettmatte. Eine im 15. Jahrhundert zunächst gefundene friedliche Lösung durch einen Schiedsspruch des Schultheisses von Offenburg hatte bis Ende des 17. Jahrhunderts Bestand. Er erlaubte den Dundenheimer die Nutzung der Weiden bis zum Johannistag (24. Juni), während den Müllenern danach das Recht an der Matte zustand. 1696 vertrieben allerdings die Dundenheimer Bauern die Müllener und beanspruchten das alleinige Recht an der Wiese. Der Höhepunkt der Streitigkeiten lag in den Jahren 1772 bis 1774. Müllen suchte beim nördlichen Nachbarn Goldscheuer "Sympathien" und fand sie auch.
So zogen 60 bis 70 Mann aus Müllen und Goldscheuer, darunter 46 Bewaffnete, auf die Matte und entführten den Dundenheimern das frisch gemachte Heu, immerhin 4 Wagenladungen. Im Handgemenge kam es zu "Übergriffen": der Dundenheimer Wendelin Bürger erhielt solch einen Schlag, dass er geblutet habe und ihm wurde eine Flinte vor die Brust gehalten. Im Folgenden entführte man sich gegenseitig Pferde, Vieh wurde eingefangen, beschlagnahmt und verpfändet und gar zwei Bürger aus Müllen im Dundenheimer Arrestlokal durch den Bürgermeister Diebold Roth eingesperrt. Alle Versuche, den Streit beizulegen, scheiterten zunächst. Erst Jahre später endete der "Dorfkrieg" dadurch, dass die Matte Dundenheim zugesprochen wurde und die Gemeinde Müllen eine Abfindung erhielt. Die Landvogtei kommentierte diesen Vorgang mit folgenden Worten: "Solche Freveltaten riechen nach jenen trüben Zeiten, wo das leidige Faustrecht noch herrschte. Dazu kommt noch, daß einige Zehntner Öhmd nicht wert sind, dass man deswegen das Leben mehrerer Menschen in Gefahr setzt."
In der Neuzeit blieb auch Müllen nicht von den weltpolitischen Ereignissen unberührt. Zu Beginn des zweiten Weltkrieges mussten die älteren Menschen und Frauen mit Kindern Müllen verlassen und wurden ins Württembergische evakuiert. Gab es im Verlauf des Ersten und Zweiten Weltkrieges auch wenig materiellen Schaden, das menschliche Leid war nicht geringer als anderswo. Der 2. Weltkrieg endete in Müllen am 15. April 1945 mit dem Einmarsch der französischen Truppen. Hunger und wirtschaftliche Not waren auch in Müllen in der unmittelbaren Nachkriegszeit typisch. Mit Beginn des sogenannten Wirtschaftswunders begann auch für das kleine Dörfchen Müllen eine rasante Entwicklung. Die Einwohnerzahl stieg stetig, da von der Gemeinde frühzeitig Baugelände zu Verfügung gestellt wurde, eine Entwicklung, die auch in der Zukunft anhalten wird. Wie allen Gemeinden des Rieds gab auch Müllen die Landwirtschaft sein Gepräge. Zunächst hatte in den fünfziger Jahren die Flurbereinigung der Landwirtschaft neue positive Impulse verschafft, der Schwerpunkt lag auf Tabakanbau und Milcherzeugung. Bald verringerte sich aber die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe mehr und mehr und die Bewohner suchten ihr Auskommen immer mehr außerorts durch Tätigkeiten in den Gewerbe- und Industriebetrieben der Umgebung, hauptsächlich in Offenburg.
Die Pfarrkirche St. Ulrich
Die einzige Dorfbeschreibung des Mittelalters und der frühen Neuzeit ist einer Urkunde von 1384 zu entnehmen. In ihr sichert der Straßburger Bürger Wilhelm von Winsberg seinem Sohn, der Pfarrer von Altenheim ist, das Wohnrecht in Müllen. In dieser Urkunde wird ein Burgstadel in Müllen erwähnt, dessen Lage nachfolgend geschildert wird. "Das Burgstedeli in dem dorfe zu Mulnheim bi Straburg bi der mueli gelegen vnd den Garten, da selbes der einhalp an den Kilchhof stosset, vnd zwüschent der mueli vnd der kirchen lit mit dem wasser, das vmbe das vorgenannte Burgstadel gat bitz in die Furt". Schon in der Frühgeschichte des Ortes, zumindest ab 1179, ist immer die Pfarrkirche erwähnt. In ihrer heutigen Form stammt sie aus dem Jahre 1741, wie der Türsturz am Eingangsportal zur Kirche berichtet. Den 14 Nothelfern geweiht, ist sie als barocke Kirche einzigartig im Ried. Aus dem 19. Jahrhundert stammt die Innenausstattung der Kirche, der Hochaltar mit der Statue des Hl. Ulrich und dem krönenden Gnadenstuhl, der die Trinität zeigt: Der gekreuzigte Heiland wird in den Händen des Vaters aufgenommen und über ihnen schwebt der Heilige Geist. Den Hochaltar flankieren seitlich die beiden Figuren der Apostel Petrus und Paulus.
Von den Nebenaltären der Kirche blieben nur die Rahmen erhalten. Eine Mater-Dolorosa-Gruppe kam 1895 in die Kirche und im Zuge der Renovierung 1895/96 wurden sieben neue Fenster mit den Bildern der vierzehn Nothelfer eingesetzt. Tritt man durch den Chorbogen in den Chor, so tut sich besonders mit dem Sakramentsschrein oder dem Sakramentshaus die spätmittelalterliche Kirche auf. Auf dem linken Seitenaltar befindet sich eine Statue "Maria mit dem Kind" (Kopie eines Werkes in Vierzehnheiligen) und auf dem rechten Seitenaltar eine Statue des hl. Josef (Kopie eines Südtiroler Meisters), beide Figuren aus den Jahren 1973 und 1974. Die Pieta (eine Kopie eines Werkes von Ignaz Günther im Kloster Weyarn) stammt von 1975.
In der Kirche erfolgten 1890, 1896, 1937 und zuletzt 1996 mehrere Renovierungen. Die Figuren der Apostel Petrus und Paulus wurden 1976 von ihrem Ölanstrich befreit; 60 % der heutigen Farben konnten von der ursprünglichen Fassung gerettet werden. In der gleichen Weise wurden der Hochaltar und die beiden Seitenaltäre sowie die Empore im Jahre 1996/97 restauriert.
Die erste Orgel in der Müllener St. Ulrichs-Kirche wurde 1752 durch Frantz Antoni Albrecht aus Offenburg für 100 Gulden errichtet. Schon 1762 stellte der Orgelmacher Seuffert für zwei neue Blasbälge in die restaurierte "Hoffweyrer Orgel", die ein Wohltäter den Müllenern geschenkt hatte, den Betrag von 40 Gulden in Rechnung. 1821 reparierte der bekannte Herbolzheimer Orgelmacher Blasius Schaxel diese "gänzlich verdorbene" Orgel um 46 Gulden. 1866/67 baut die Orgelbaufirma Blase u. Geiler in Offenburg die vierte Orgel für Müllen. Dieses Orgelwerk umfaßte 7 Register und kostete laut Vertrag mit der Gemeinde Müllen 1100 Gulden. Der Orgelbauer Franz Winterhalter aus Oberharmersbach erstellt 1966/67 eine einmanualige Orgel mit 8 Registern. Die derzeitige Orgel in der Wallfahrtskirche in Müllen wurde 1991 vom Orgelbauer Vier in Oberweier bei Lahr als zweimanualiges Werk mit 13 Registern gebaut.